Jack-Russel-Terrier an der Leine im Grünen

Gastbeitrag: HWS-Syndrom

Wir danken Sabrina Hinrichs für ihren Gastbeitrag.

“Sabrina, ich mache mir Sorgen um Anton. Der hält seit einigen Tagen den Kopf so schief. Gassigehen will er irgendwie auch nicht. Er huscht in den Garten, macht dort sein Häufen (das macht er sonst nie!) und legt sich gleich wieder hin. Soll ich zum Tierarzt fahren?“ Diese besorgniserregende Nachricht einer Bekannten ereilte mich über die letzten Feiertage. Da ich nur einige hundert Meter entfernt wohne, bin ich kurz bei ihr vorbeigefahren und traute meinen Augen nicht. Der kleine Anton, ein Jack-Russel-Terrier, ging den Kopf schräg haltend, leicht schief auf mich zu. Er wirkte fast wie seekrank. Das Herz rutschte mir in die Hose. „Tierklinik, sofort!“ war das einzige, was ich denken konnte. Aber, ich bin ja Profi, atmen und schnell ein paar Fragen stellen. Meine Bekannte erzählte mir dann, dass sein Zustand erst seit heute so schlimm sei. Zuvor war der Kopf nur leicht schief gewesen, der Gang jedoch gerade. Er habe auch bis gestern sein Futter gefressen, jedoch auch das mit einem schief gehaltenen Kopf. Erst seit heute früh wolle er nicht mehr fressen, nicht rausgehen und nur liegen. Außerdem hielt er den Kopf nun sehr tief.

Ich näherte mich dem kleinen Mann vorsichtig. Anton und ich kennen uns von Welpenpfoten an. Das Kerlchen habe ich damals in mittelbarer Position vermittelt, da er ein neues Zuhause suchte. Daher traf es mich natürlich auch stärker, dass mein „Schnaddi“, wie ich ihn nannte, augenscheinlich so litt. Anton kroch aus seiner Kudde zu mir, legte sich vor mir flach wie eine Flunder auf den Boden – auf die linke Körperseite. Ich taste mich zunächst an seine Ohren heran und versuchte vorsichtig an seinen Hörmuscheln zu schnuppern. Denn nicht selten halten Hunde den Kopf sehr schief, wenn sie eine Ohrenentzündung ereilt hat. Die Ohren rochen unauffällig, aber auf der linken Seite zuckte Anton schon bei zartester Berührung. Ich griff mit aller gebotener Vorsicht (denn Hunde, die Schmerzen haben reagieren häufig nicht wie erwartet!) unter ihn und strich am Hals entlang. Anton schmatzte mit angespannter Nasen- und Maulpartie. Er hatte offensichtlich Schmerzen. Die Halspartie war bretthart unterhalb der Ohren. Ebenso ragte etwas noch Härteres minimal heraus – bildete ich mir zumindest ein.

In mir regte sich ein Verdacht. Ich befragte meine Bekannte weiter, ob sie ein Ereignis ausmachen könnte, nachdem er begann, den Kopf schief zu legen. Die Antwort kam auf dem Fuße: „Vor fünf Tagen ist er trotz selbstaufrollender Leine zur Jagd nach einem Kaninchen aufgebrochen. Ich meine, dass es da begann.“ Ich fragte weiter, ob Anton zu diesem Zeitpunkt am Geschirr oder am Halsband lief, obwohl ich mir die Antwort leider schon denken konnte: Am Halsband.

Wir packten Anton vorsichtig ein und fuhren in die Tierklinik. Zum Glück habe ich in meinem Wohnort eine Klinik, welche auch Osteopathie für Pferd & Hund anbietet. Ich schilderte der Tierärztin meinen Verdacht. Anton wurde narkotisiert und geröntgt. Die Diagnose folgte auf dem Fuße: Anton hatte durch ein stumpfes Trauma einen Bandscheibenvorfall im Halswirbelsäulenbereich erlitten. Die Bandscheiben sitzen zwischen den Wirbeln und sorgen für ihren Zusammenhalt. Sie bestehen aus einem Faserring und einem recht weichen, feuchten Gallertkern. Der Ring der Bandscheibe wurde durch die Geschwindigkeit des Traumas zerstört und die Bandscheibenmasse (Kern) war ausgetreten, Richtung Wirbelkanal und Ohr, und schädigte dort nach und nach das Gewebe. Weiterhin vermutete die Tierärztin, dass das Gleichgewichtsorgan im Ohr einen Schaden genommen haben könnte. Ferner nahm sie an, dass Anton demnächst Lähmungserscheinungen zeigen würde. Er müsse sofort operiert werden.

Wie konnte das passieren?

Die Halswirbelsäule des Hundes ist ein zartes Gebilde aus sieben Halswirbeln. Diese sitzen aufeinander, dazwischen die Bandscheiben. Gehalten wird das Konstrukt grob gesagt nur durch Muskeln, Sehnen und Bänder. Mit steigendem Alter und ggf. unter mangelnder Bewegung nimmt die Elastizität der Bandscheiben und der anderen genannten strukturellen Helfer ab, die Halswirbelsäule wird anfälliger.

Nunmehr weg von der Biologie, hin zur Physik: Denn das ist die Ursache für die Heftigkeit des Traumas. Physikalisch errechnet sich die Kraft, die auf einen Körper wirkt, durch die Masse des Körpers multipliziert mit der Beschleunigung. Das heißt, dass das Gewicht von Anton mit seiner Beschleunigung multipliziert werden muss. Die selbstaufrollende Leine von Anton hatte 10 m – demnach hatte er genug Zeit, eine stattliche Beschleunigung hinzulegen.

Am Ende dieser Beschleunigung steht das „Hineinlaufen“ in das Ende der Leine, demnach ein kräftiger Ruck. Antons Frauchen beschrieb, dass er jagdlich motiviert unterwegs war. Demnach befand er sich in einem Dopamin-Rausch und sei wie ein Torpedo in die Leine geflitzt, demnach also ziemlich unvorbereitet und ohne eine vorher eingeleitete Bremsung.

Dieser kräftige Ruck wird leider nicht sonderlich gleichmäßig auf den Hundekörper verteilt, sondern wirkt gezielt auf nur eine zentimeterbreite „Schnur“ um den Hals. Demnach wurde die Kraft einfach auf die Wirbelflächen darunter weitergegeben.

Ferner ist es so, dass gerade kleine Rassen eher zu einem Bandscheibenvorfall neigen als größere Hunde. Nach einer Faustregel kann man davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit an einem Vorfall zu erkranken mit der Länge des Rückens im Verhältnis zur Länge der Beine steigt. Je größer das Missverhältnis dieser beiden Faktoren, desto größer die Gefahr. Das treffendste Beispiel bildet hier der Dackel: Sehr kurze Beine, sehr langer Rücken. Die „Dackellähme“ ist weit verbreitet und vielen Liebhabern dieser Rasse ein Begriff. Diese Erkrankung fußt auf einen oder mehrere Bandscheibenvorfälle, gepaart mit einer Knorpelwachstumsstörung.

Das Zusammentreffen dieser verschiedenen Faktoren wird schlussendlich für den Vorfall bei Anton gesorgt haben. Die Symptome haben sich natürlich über die Dauer der Zeit verschlimmert, da sich das Gewebe, in welches die Flüssigkeit eingedrungen ist, langsam entzündet hat. Ebenso hat der Druck auf den Wirbelkanal nach und nach zu mehr Schmerzen geführt.

Wie hätte der Unfall verhindert werden können?

Ob derartige Unfälle zu hundert Prozent ausgeschlossen werden können, bleibt fraglich. Das Risiko eines Bandscheibenvorfalles in der Halswirbelsäule hätte zumindest minimiert werden können, wenn anstatt des Halsbandes ein gut sitzendes Geschirr angelegt worden wäre. Auch wenn Anton an der selbstaufrollenden Leine zur Jagd aufgebrochen wäre, so hätte die oben errechnete kinetische Energie nicht nur auf den Hals des Hundes gewirkt, sondern wäre durch das Geschirr auf den ganzen Körper verteilt worden. Ebenso mag ein durch einen Hundetrainer begleitetes „Anti-Jagd-Training“ das Risiko für solche Verletzungen einzudämmen.

Ein „gut sitzendes“ Geschirr habe ich in dem oben genannten Absatz bewusst hervorgehoben. Denn ein nicht angepasstes Geschirr birgt zwar nicht unbedingt das Risiko für einen Vorfall in der Halswirbelsäule, aber andere Verletzungsgefahren, die nicht minder schwer sind als die Leidensgeschichte von Anton.

Ist ein Geschirr immer besser als ein Halsband?

Hierzu ein klares „Jein“. Wie so oft in der Hundehaltung, können diese „Gretchen“-Fragen nicht eindeutig beantwortet werden. Denn eine pauschale Aussage wäre unprofessionell. Es kommt nämlich immer auf den Hund, insbesondere auf seine gesundheitliche Situation, seinen Ausbildungsstand und seine allgemeine Verwendung an.

Ich rate z. B. Hundehalter/-innen, welche einen Hund mit Schilddrüsenunterfunktion führen, immer und ausnahmslos zu einem Geschirr. Warum? Die Schilddrüse sitzt genau auf der Höhe des Halsbandes. Eine Schilddrüsenunterfunktion ist nicht selten auf eine Entzündung dieser zurückzuführen. Auch ohne Studien zu dem Thema kann ich mir nicht vorstellen, dass dauerhafter Druck auf das Organ für diese Disposition förderlich ist. Gleiches gilt natürlich auch für Erkrankungen anderer Organe in der Halsregion, wie den Kehlkopf.

Ferner kann es auch sein, dass die gesundheitliche Situation des Vierbeiners das Tragen eines Geschirres nicht zulässt. Dies kann z. B. bei knöchernen Erkrankungen rund um das Brustbein der Fall sein.

Ein sehr junger Hund, welcher das Laufen an lockerer Leine noch nicht gelernt hat, hat ggf. auch einen Lernerfolg davon, dass beide Systeme (Halsband und Geschirr) genutzt werden. Denn ein junger Hund schafft es nicht, sich dauerhaft auf das Laufen bei Frauchen oder Herrchen zu konzentrieren, die Ablenkungen sind zumeist zu groß. Und damit der Trainingserfolg nicht zerstört wird, hat sich folgende Trennung bewährt: Das Training wird am Halsband durchgeführt, der Hund läuft an lockerer Leine. Nach wenigen Minuten und einem tollen Erfolg wird die Leine am Geschirr befestigt. Dies signalisiert dem Hund, dass das Training beendet ist und er „ziehen darf“.

Diensthunde, z. B. Drogenspürhunde in Haftanstalten, werden zumeist aufgrund ihrer Verwendung in Dienst am Geschirr geführt. Die Hunde sind während der Arbeit höchst motiviert und es wird von ihnen z. T. verlangt, dass sie an der Leine ziehen, wenn sie etwas gefunden haben. Um hier Belastungen der Halswirbelsäule zu entgehen, wird in aller Regel ein Geschirr genutzt.

Sie sehen also, es kann viele Faktoren geben, die eine Entscheidung für ein Führsystem beeinflussen. Im Einzelfall fragen Sie zu den Risiken und Nebenwirkungen am besten Ihren Hundetrainer oder Hundephysiotherapeuten!

Ihre

Sabrina

P.S: Ich sehe jeden Tag Hundehalter/-innen auf ihrer Gassitour, die ihre Hunde an der selbstaufrollenden Leine am Halsband führen.  Ich würde mir sehen wünschen, dass sich alle Hundetrainer/-innen an der Aufklärungsarbeit beteiligen! Denn wie im Falle meiner Bekannten und dem kleinen „Schnaddi“-Anton steckt häufig Unwissenheit hinter der Leinenentscheidung. Und nochmal zur Klarstellung: Selbstaufrollende Leinen sind nichts Schlechtes, sie gehören jedoch nicht ans Halsband!

Sabrina arbeitet als Dipl. Rechtspflegerin, ist ausgebildete Hundetrainerin, zertifizierte Tierheilpraktikerin und Dozentin bei Ziemer & Falke. Ferner hat sie Zusatz- und Schwerpunktausbildungen im Bereich der Myko- und Phytotherapie absolviert. Gern unterstützt sie Hund & Halter bei Fragen des Zusammenlebens und der Gesunderhaltung.